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Die neuen unheimlichen Patrioten

18.01.2019, Agenda 2030

Die Diskussion über den Uno-Migrationspakt zeigt: In der Schweiz sind die Positionen unheimlicher Patrioten in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Die neuen unheimlichen Patrioten

Keine Frage, die Vereinten Nationen sind weit davon entfernt, ihr wichtigstes Ziel, die Sicherung des globalen Friedens zu garantieren. Nicht nur im Syrien- und im Jemenkrieg blockieren sich die fünf ständigen Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats (USA, Russland, China, Grossbritannien, Frankreich) regelmässig per Veto. So verheerend das ist, so wenig ändert das daran, dass die Welt letztlich zur multilateralen Zusammenarbeit verdammt ist, sei es in Sicherheitsfragen, der Klimapolitik oder eben auch wenn es um Migration geht.

Raufen sich die DiplomatInnen der Staatengemeinschaft zusammen und formulieren in zäher Kleinarbeit sogenanntes soft law – politisch bindende, aber rechtlich nicht einklagbare Absichtserklärungen (wozu auch die Uno-Agenda 2030 mit ihren Zielen für nachhaltige Entwicklung gehört), so sind das austarierte Kompromisse; nicht mehr und nicht weniger als der kleinste gemeinsame Nenner, der zwar etwas langweilig, aber eben auch ziemlich vernünftig ist, denn grosse Würfe mit Ecken und Kanten bleiben im Verhandlungsprozess auf der Strecke. So stipuliert der «Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration», wie der Uno-Migrationspakt offiziell heisst, eine ganze Reihe von Selbstverständlichkeiten: Migration ist ein Phänomen, das es schon immer gegeben hat und immer geben wird. Die Bedingungen von Migration sollen international im Dialog geregelt, Migration soll entkriminalisiert werden. Das von den Staaten gemeinsam zu verfolgende Ziel soll sein, humanitäre Katastrophen zu verhindern, die mit informeller, irregulärer oder illegaler Migration einhergehen. So weit, so banal.

Doch wie ist die Diskussion über den Migrationspakt in der Schweiz verlaufen? Es war ein unwürdiges Spektakel, das gezeigt hat, wie weit die politische Debatte in den letzten Jahren in der Schweiz nach rechts gerückt ist. Es begann damit, dass es der Bundesrat – obwohl die Schweizer Diplomatie bei der Erarbeitung des Pakts eine wichtige moderierende Rolle gespielt hatte – verpasste, offen und proaktiv eine ernsthafte Debatte um die Zukunft der globalen Migration anzuführen. Im Gegenteil, der für das Dossier zuständige Aussenminister Ignazio Cassis liess postwendend Verständnis für jene Kreise anklingen, die beim Stichwort Migration den Untergang des christlichen Abendlands an die Wand zu malen pflegen.  

Es sind dieselben Kreise, die in der Schweiz vor vierzig Jahren im Buch «Die unheimlichen Patrioten» (Limmat Verlag) beschrieben worden sind. Die Autoren Jürg Frischknecht, Peter Haffner, Ueli Haldimann und Peter Niggli durchleuchteten damals rund 1000 Schweizer Personen und deren nationalkonservativen, klerikal-faschistischen oder offen rechtsextremen Positionen und Aktivitäten. Was die unheimlichen Patrioten damals wie heute verband, war ihre Ablehnung der Uno und eines offenen Zugangs der Schweiz zur Welt. 1979 beim Erscheinen des Buchs war die Einwanderung in die Schweiz fast ausschliesslich auf wenige südeuropäische Herkunftsländer beschränkt. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten, infolge von Kriegen, Krisen und Konflikten, aber auch der Phase der Hyperglobalisierung geändert. Heute bezeichnet eine Studie der ETH-Konjunkturforschungsstelle KOF die Schweiz als das am stärksten globalisierte Land der Welt, das mithin auch zu den grössten Profiteuren internationaler Verflechtung gehört. Die Schweiz ist dadurch in den letzten Jahrzehnten kulturell vielfältiger und farbiger geworden, eine Entwicklung, mit der sich Ängste schüren und Ressentiments bewirtschaften lassen. War dieses Politikmodell Ende der 1970er Jahre noch weitgehend den unheimlichen Patrioten aus der politischen Schmuddelecke vorbehalten, so sind heute auch prominente VertreterInnen der sogenannt staatstragenden Parteien FDP und CVP vorne weg mit dabei, wenn es darum geht, mit der Angst vor «Überfremdung» und vermeintlichem Souveränitätsverlust Stimmung zu machen. Der Migrationspakt widerspricht zwar in keinem einzigen Punkt den Grundlagen der – in den letzten Jahren mehrmals verschärften  ­­̶   schweizerischen Asyl- und Migrationspolitik, doch die Vereinten Nationen, diese alles andere als perfekte Organisation, war schon immer ein Lieblingsfeindbild der unheimlichen Patrioten. Mit ihrer Kritik am Multilateralismus sind ihre heutigen Wiedergänger dabei in bezeichnender Gesellschaft: An der Uno-Generalversammlung vom 19. Dezember in New York stimmten die USA, Ungarn, Tschechien, Polen und Israel gegen den Pakt. Zusammen mit elf anderen Ländern hat sich die Schweiz der Stimme enthalten hat (weitere 24 nahmen an der Abstimmung gar nicht teil). Es ist ein bedenkliches Signal, das die Schweiz da ausgesendet hat.

Vorgeschobene Argumente

Ein Teil der Diskussion um den Uno-Migrationspakt hatte sich schnell auf die Frage verlagert, ob es richtig sei, dass der Bundesrat multilateral verhandeltes soft law in Eigenregie, also ohne Konsultation des Parlaments, unterzeichnen und ratifizieren dürfe. Das ist zwar eine interessante staatsrechtliche Frage, wer genau hinhörte, merkte jedoch schnell, dass es in den meisten Fällen ein billiges vorgeschobenes Argument war, um gegen die Uno zu polemisieren und mit dem Migrationsthema bei den Verängstigten und Globalisierungsverlierern zu punkten. Dass der Uno-Migrationspakt jetzt auch im National- und im Ständerat diskutiert wird, ist kein Drama, auch wenn sich die Unterschrift der Schweiz unter den Pakt dadurch verzögert; die Staatengemeinschaft ist sich gewohnt, wie langsam die demokratischen Mühlen in der Schweiz mahlen. Und gegen eine differenzierte Debatte über die Gründe und Hintergründe von Migration ist in einer offenen Gesellschaft sicher nichts einzuwenden, im Gegenteil, zu vielfältig sind die damit verbundenen Herausforderungen, Chancen und Risiken. In dieser Debatte würde auch klar, wie stark die Schweiz in ihrer Geschichte von Migration profitiert hat und wie lächerlich gering der Schweizer Beitrag zur Lösung globaler Migrationsprobleme in den letzten Jahren war. Auf eine solche Migrationsdebatte ohne populistische Verzerrungen zu hoffen, die den unheimlichen Patrioten Wind aus den Segeln nähme, wäre allerdings naiv. Wenn der Migrationspakt letztlich die nötige Zustimmung im Parlament findet, dann einfach darum, weil sein Inhalt vernünftig ist. Auf dem Weg dorthin werden die unheimlichen Patrioten weiterhin jede sich bietende Gelegenheit nutzen, multilaterales Handeln schlecht zu machen, Ressentiments gegen Muslime zu schüren und mit der fake news «bedrohte nationale Souveränität» Wahlkampf zu machen. Das ist übel und nicht immer einfach auszuhalten, aber in einer Demokratie gehört es zu den Spielregeln, dass auch Unvernünftige und Ewiggestrige mitmachen und hochtrabend Unsinn verbreiten dürfen. Oder wie sollen wir NZZ-Chefredaktor Eric Gujer verstehen, wenn er in einem Leitartikel zum Uno-Migrationspakt verkündet, die «Ära der Werte» sei vorbei und mit kaum verhüllter martialischer Rhetorik vom «Rollback der Realpolitik» schwärmt?

Dieser Text wurde erstmals im Aufbruch veröffentlicht.