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Der Green New Deal nach Pettifor

22.03.2020, Finanzen und Steuern

Eine wirksame Klimawende braucht mehr als nachhaltige Investitionspolitik und CO₂-Bepreisung. Die britische Ökonomin Ann Pettifor will das Finanz- und Steuersystem grundlegend reformieren und sagt: «We can afford, what we can do».

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Der Green New Deal nach Pettifor

Die Solaranlage von Noor 3 unweit von Ouarzazate im Süden von Marokko.
© Abdeljalil Bounhar / AP / Keystone

An den Demonstrationen der Klimabewegung ist eine Losung omnipräsent: «System change, not climate change» steht auf Kartonschildern von Kiruna bis Kapstadt, von Toronto bis Tokio. Dass die ökologische Transformation weit über das hinausgehen muss, was wir heute von den UNO-Klimakonferenzen oder aus der Schweizer Diskussion zum CO₂-Gesetz kennen, ist allen klar, die sich ernsthaft mit der Klimakrise auseinandersetzen. Doch wie könnte dieser System change realisiert werden? Wie müsste etwa das globale Finanzsystem ausgestaltet sein, damit es der ökologischen Wende der Weltgesellschaft nicht mehr im Weg stünde, sondern diese im Gegenteil beförderte? Mit «The Case for the Green New Deal» legte die britische Ökonomin Ann Pettifor im Herbst 2019 ein Buch vor, das konkrete Antworten auf genau diese Fragen geben will. In aller Kürze heisst Green New Deal bei Ann Pettifor: Der Aufbau einer Gesellschaft mit garantiertem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle und einer Wirtschaft, die auf erneuerbare Energien, viel Arbeit und einem ökologisch nachhaltigen und öffentlichen Transportwesen basiert und sich vom Wachstumsparadigma verabschiedet hat.

Aus Pettifors Sicht manifestiert sich in der Auseinandersetzung um das richtige Finanzsystem eine zentrale politische Machtfrage: Wer entscheiden kann, wo und zu welchen Bedingungen Kapital investiert wird, verfügt über wesentliche Hebel der politischen Ökonomie und prägt damit die Architektur eines Gesellschaftssystems. Im Kontext der ökologischen Wende wirft Pettifor die Frage auf, ob das Finanzsystem weiterhin auf die Befriedigung der Partikularinteressen von Kapitaleignern ausgerichtet sein soll. Oder ob es so organisiert werden kann, dass es dem Aufbau und dem Unterhalt von gesellschaftlichen Strukturen dient, die in Zeiten der Klimakrise den Erhalt der Grundlagen der menschlichen Zivilisation gewährleisten können. Die heutige Prämisse des Finanzsystems, wonach grundsätzlich jeder Investition eine Möglichkeit auf Gewinn innewohnen muss, verlangt nach einem Wachstumsimperativ. Aber Wirtschaftswachstum sei letztlich nur möglich, meint Pettifor, wenn fossile Rohstoffe und menschliche Arbeitskraft ausgebeutet werden, mit den bekannten ökologischen und sozialen Verwerfungen. Deshalb verunmöglicht die heutige Architektur der Finanzmärkte aus Pettifors Sicht die ökologische Transformation.

Ein dreistufiger Plan

Pettifors Plan zur Umsetzung des Green New Deal (GND) basiert auf drei Prämissen.

Erstens: Uns rennt die Zeit davon. Bis in zehn Jahren müssen wir die weltweiten fossilen CO₂-Emissionen auf netto null gesenkt haben. Ansonsten erreichen wir das 2-Grad-Ziel des Pariser Klimaübereinkommens nicht. Die Hoffnung auf technologische Innovationen, die den Widerspruch zwischen Wachstum und Ökologie auflösen könnten, komme zu spät. Bleibt nur, schnellstmöglich die Regeln unseres Finanzsystems zu ändern.

Zweitens: Die finanziellen Ressourcen, welche die Unterzeichnerstaaten im Pariser Abkommen zugesagt haben, reichen nicht aus, um bis 2030 «netto null» zu erreichen.

Drittens: Soll die ökologische Wende schnell, umfassend und demokratisch legitimiert gelingen, muss sie sozial gerecht gestaltet sein.

Der GND ist für Pettifor zwingend ein globales Projekt; aus dem simplen Grund, dass die natürlichen Lebensgrundlagen – und diese hängen entscheidend vom Klima ab – keine Grenzen kennen. Trotzdem müsse die Umsetzung des GND hauptsächlich innerhalb der Nationalstaaten vorangebracht werden. Der Grund: Den zuständigen multilateralen Institutionen traut Pettifor aufgrund ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht zu, jene politische Energie zu entwickeln, die für die Umsetzung des äusserst ambitionierten Planes nötig ist. Pettifor setzt dabei vor allem auf die globalen Netzwerke sozialer Bewegungen und der Zivilgesellschaft: Sie können gemeinsam transnationale politische Ziele entwickeln und diese im jeweiligen nationalen Kontext vorantreiben. All dies muss gemäss Pettifor zwingend innerhalb demokratischer Strukturen erreicht werden. Damit der Green New Deal die nötigen politischen Mehrheiten erzielt, muss er für gesellschaftlich Benachteiligte einen sozialen Fortschritt bringen. Er müsse feministische Anliegen genauso aufnehmen wie den Kampf gegen die soziale Ungleichheit und die Armut in den Ländern des Südens.

Die Autorin räumt ein, dass dies enorm hohe Ansprüche sind. Von deren Einlösung hänge jedoch nicht weniger als das Fortbestehen der menschlichen Zivilisation ab. Nur die starke politische Steuerung dieses Prozesses könne innert Kürze jene riesigen finanziellen Mittel mobilisieren, mit denen die ökologische Transformation in den nächsten zehn Jahren in Gang gebracht werden kann. Nur die Politik könne die Geldflüsse in den Finanzmärkten dort kanalisieren, wo sie für die Klimawende dringend gebraucht werden. Dass Nationalstaaten solche kurzfristigen Megaprojekte durchziehen können, hätten die Notsituationen der nationalsozialistischen Bedrohung im zweiten Weltkrieg oder die Stabilisierung des globalen Finanzsystems nach der Krise von 2008 gezeigt: Innert Kürze seien weltweit exorbitante staatliche Mittel für Armeen bzw. die Rettung der Finanzindustrie mobilisiert worden. Dafür bräuchten Nationalstaaten aber einen entsprechend umfassenden wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum, den ihnen das heutige Finanzsystem nicht biete. Vorhang auf also für dessen Reform.

Ein Reformprojekt auf drei Säulen

  1. Die globale Offshore-Industrie muss verschwinden. Sie sorgt heute dafür, dass Billionen Dollar unversteuert um den Globus zirkulieren können, und entzieht so den öffentlichen Diensten weltweit jährlich hunderte Milliarden Dollar. Kapitalflüsse innerhalb von Konzernen und in der Vermögensverwaltung müssen offengelegt und entsprechende Gewinne global gerecht verteilt werden. Pettifor folgt damit den Analysen der Global Alliance for Tax Justice (GATJ), der auch Alliance Sud angehört.
  2. Es braucht neue Regulierungen der Finanzmärkte, die es der Politik erlauben, privates Kapital für öffentliche Investitionen zu mobilisieren, um es für den ökologischen Umbau zu nutzen. Entsprechend werden Steuereinnahmen in einem GND-Finanzsystem, wie es Pettifor entwirft, nicht nur für staatliche Ausgaben gebraucht. Dank einem gut finanzierten Haushalt gilt der Staat bei privaten Gläubigern auch als vertrauenswürdiger Schuldner und kann so deren Kredite zu moderaten Zinssätzen für die GND-Investitionen verwenden. Dafür braucht es aber neue geld- und finanzpolitische Regeln. Pettifor weist darauf hin, dass globale Financiers in hohem Mass vom steuerfinanzierten öffentlichen Sektor und insbesondere von den Dienstleistungen und Ressourcen der Zentralbanken profitieren und sieht darin einen entscheidenden Hebel der Politik. So habe die Finanzkrise von 2008 gezeigt, wie stark Schlüsselindustrien – etwa die Finanzindustrie in der Schweiz oder die Autoindustrie in den USA – auf öffentliche Ressourcen angewiesen sind, wenn sie auf Grund einer systemischen Krise vom Untergang bedroht sind. Die Abhängigkeit der privaten Wirtschaft vom Staat als «Gläubiger der letzten Instanz» müsse die Politik in Zukunft nutzen, um privates Kapital in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.Ein starker Fiskus mit einem grossen wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum ist insbesondere aus der Sicht vieler Länder des Südens zentral: Während in Europa und Nordamerika die Liberalisierungen der letzten vierzig Jahre zu Privatisierungen im Service public und einem entsprechenden Machtverlust demokratischer Politik führten, erschwerte das neoliberale Paradigma in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern überhaupt erst den selbstständigen Aufbau stabiler öffentlicher Dienste. Der Abbau nationaler Grenzen im internationalen Kapitalverkehr zwang viele von ihnen in die Kredit- und Schuldenregime des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Das warf sie zurück in die Zeit kolonialer Abhängigkeitsverhältnisse. Umso dringender ist in Zeiten der Klimakrise der systemische Umbau auch im globalen Süden. Die Unterbindung der exorbitanten Steuerflucht aus den ehemaligen Kolonien, von der auch die Schweiz immer noch stark profitiert, würde es der dortigen Politik endlich ermöglichen, Wirtschaftskonzepte zu entwickeln, die sie aus der finanziellen und politischen Abhängigkeit ausländischer Geldgeber mit ihren Eigeninteressen befreit.
  3. Eine entscheidende Rolle bei der GND-Finanzierung spielen bei Pettifor die Zentralbanken. Mit ihrer anhaltenden Tiefzinspolitik seit der Finanzkrise widerlegen diese die Theorie orthodoxer Geldpolitik, wonach anhaltend tiefe Zinsen ausserhalb von Krisenzeiten zu hoher Inflation und damit zu Wertvernichtung führen. Pettifor will diese Zinspolitik für die Finanzierung des GND nutzen. Damit dies funktioniert, dürfen allerdings nicht mehr vor allem Banken, Grossinvestoren und Superreiche davon profitieren. Das billige Geld muss ganzen Gesellschaften zugutekommen. Das bedingt aber eine Lösung der Schuldenbremsen. Sie schränken die staatliche Neuverschuldung – also die Kreditaufnahme zugunsten öffentlicher Investitionen – stark ein und führen so nicht zu stärkeren öffentlichen Sektoren, sondern befördern stattdessen eine rigorose Sparpolitik. Diese hat seit 2008 zu weiteren Privatisierungen öffentlicher Güter und damit zu einem Machtgewinn privater Investoren auf Kosten der Politik geführt. So beschränken Schuldenbremsen die Gestaltungsmacht der Demokratie und sichern die gesellschaftliche Macht finanzstarker Privater gegenüber den Interessen demokratischer Gemeinwesen ab.

Für ein Primat des Handelns statt des Geldes

Ann Pettifors Green New Deal soll einer ökologischen Wirtschaft ohne Wachstum zum Durchbruch verhelfen. In dieser stationären Wirtschaft (Steady-State-Economy) soll lokale, menschenwürdige Arbeit die Nutzung fossiler Energien und die Ausbeutung von ArbeiterInnen im globalen Süden ersetzen, deren Löhne heute oft nicht zu einem menschenwürdigen Leben reichen. Die Ökonomien der reichen Länder würden neu arbeits- statt kapitalintensiv. Und die Länder des Südens würden vom Lohndruck befreit, der grosse Teile ihrer Bevölkerungen bis heute in Armut hält. Viele Tätigkeiten, die wir von den alten Industrieländern in Billiglohnländer ausgelagert haben, würden wieder zu uns zurückkehren. Statt billige neue Güter zu produzieren, würde auch in Ländern, in denen heute die Dienstleistungsindustrie dominiert, nicht mehr fast ausschliesslich betreut, sondern auch wieder hergestellt, repariert und umgebaut. Finanziert würde diese Arbeit indirekt oder direkt durch öffentliche Investitionen. Flössen diese in eine arbeitsintensive Gesellschaft mit guten Löhnen, würde die Vernichtung ökonomischer Werte durch billiges Geld verhindert, sagt Pettifor. Starke öffentliche Institutionen müssten dafür sorgen, dass sich Nachfrage und Angebot von Investitionsmöglichkeiten die Waage hielten. Die Wirtschaft würde in einen Kreislauf ohne Wachstum, aber mit sicheren Existenzen für alle münden. Verlieren würde nur jene verschwindend kleine globale Minderheit, die heute ausschliesslich davon lebt, dass sie ihr Geld – also eigentlich Milliarden von Menschen – für sich arbeiten lässt.

Letztlich will Pettifor das Grundprinzip unserer Gesellschaft vom Kopf auf die Füsse stellen: Während wir heute nur das tun, was wir uns leisten können, sollen wir uns in Zukunft alles leisten können, wozu wir im Stande sind.

Ann Pettifor, The Case for the Green New Deal, Verlag Verso, 2019, ca. 24 CHF