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Das Silodenken überwinden

30.06.2016, Klimagerechtigkeit

Anhand der Umsetzung einer zukunftsfähigen, verantwortungs- und wirkungsvollen Klimapolitik der Schweiz lässt sich aufzeigen, dass einzelne Ziele der Agenda 2030 nicht isoliert voneinander betrachtet oder erreicht werden können.

Das Silodenken überwinden

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Am 22. April unterzeichnete Bundesrätin Leuthard in New York feierlich das Pariser Klima-Abkommen. Damit verpflichtet sich die Schweiz, gemäss ihrer Verantwortung zur Reduktion des globalen Treibhausgas-Ausstosses bis 2050 auf «Netto-Null» beizutragen. Und sie steuert ihren Anteil bei an die jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in den exponiertesten Ländern. Damit konkretisiert das Pariser Abkommen das SDG-13 zur «Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen». Die Pariser Klima-Zielsetzung ist nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Massnahmen in fast allen SDG-Bereichen zu erreichen: Es gilt, sich vom Silodenken zu verabschieden, wo jeder nur seinem eigenen Erfolg verpflichtet ist. Zu einer kohärenten Klimapolitik gehören darum zwingend Schritte hin zu einem «Nachhaltigen Wirtschaftswachstum» (SDG-8) und zu «Nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern» (SDG-12). Hier stehen den wohlhabenden, viel konsumierenden Ländern wie der Schweiz bedeutende Hebel zu Verfügung: Eine fleischärmere Ernährungsweise etwa trägt nicht nur direkt zur Reduktion von Lachgas- und Methanemissionen – beides potente Treibhausgase – bei. Indirekt reduziert eine geringere Nachfrage nach Futtermitteln den Druck auf intensiv bewirtschaftete Agrarflächen, was wiederum zur Erreichung von SDG-14/15 (Schutz von Land-, Wald- und Meeresökosystemen) beiträgt,

Die Vermeidung zusätzlicher Emissionen muss offensichtlich auch ein zentrales Anliegen bei Massnahmen zu SDG-7 («Energie für alle») oder der Förderung widerstandsfähiger Infrastruktur- und Stadtentwicklung (SDG-9/11) darstellen. Umgekehrt müssen Vorkehrungen gegen den fortschreitenden Klimawandel geschickt mit Massnahmen der Armutsbekämpfung (SDG-1), insbesondere zur Sicherstellung der Ernährungssicherheit (SDG-2) und des Zugangs zu Wasser- und Sanitärversorgung (SDG-6) kombiniert werden.

Trotz der blumigen Rhetorik des Bundesrats zur Agenda 2030 fokussiert die Schweizer Klimapolitik nach wie vor auf einseitige und unzureichende CO2-Reduktionsabsichten im Inland. Eine zielführende und verantwortungsvolle Klimapolitik im Sinne der SDG muss diese Eindimensionalität überwinden. Die Klimaallianz stellte den Medien deshalb am 2. Juni einen «Klima-Masterplan Schweiz» vor. Darin schlagen die 66 Organisationen der Allianz neben politischen Instrumenten zur vollständigen Reduktion der inländischen CO2-Emissionen bis 2050 auch flankierende Massnahmen in den Bereichen Handel, Konsum, Landwirtschaft oder internationale Flugreisen vor. Denn der Klima-Fussabdruck der Schweiz entspricht einem Vielfachen der pro Kopf alleine im Inland emittierten 5 bis 6t CO2 pro Jahr: Durch unseren Konsum von importierten Waren und Dienstleistungen, durch Flugreisen, die nicht in die nationalen Treibhausgasinventare einbezogen werden, indirekt aber auch über den Finanz- und Investitionsplatz Schweiz sind wir für ein Vielfaches an Treibhausgas-Emissionen ausserhalb unserer territorialen Grenzen mitverantwortlich.  

Deshalb geht der Klima-Masterplan auf die dringende Unterstützung von Entwicklungsländern beim Aufbau ihrer Energieversorgung und der Bewältigung der zunehmenden Herausforderungen durch den weitgehend nicht selbst verursachten Klimawandel ein. Er zeigt auf, dass die Schweiz ihren erwarteten Beitrag von jährlich 1 Milliarde CHF verursachergerecht und vor allem ausserhalb des Entwicklungsbudgets über eine (erweiterte) CO2- oder Flugticketabgabe, Erlöse aus dem Emissionshandel oder auch via die Einführung einer Finanztransaktionssteuer mobilisieren kann.