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17 Gründe für eine griffigere SNE

22.03.2021, Agenda 2030

Im Februar ging die Vernehmlassung zur Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE) zu Ende. Die Zivilgesellschaft hat den Entwurf scharf kritisiert und verlangt, dass der Bundesrat die Entwicklungschancen der ärmsten Menschen stärker in den Fokus nimmt.

Marco Fähndrich
Marco Fähndrich

Kommunikations- und Medienverantwortlicher

17 Gründe für eine griffigere SNE

© Alliance Sud

Mit der SNE will die Schweiz die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der UNO umsetzen, die am 25. September 2015 in New York verabschiedet wurden. Drei Schwerpunktthemen stehen für den Bundesrat im Vordergrund: «Nachhaltiger Konsum und Produktion», «Klima, Energie und Biodiversität» und «Chancengleichheit». Die Strategie legt zudem dar, wie die Wirtschaft, der Finanzmarkt, die Bildung und die Forschung die nachhaltige Entwicklung vorantreiben könnten und welche Rahmenbedingungen dafür notwendig wären.

Der vorliegende Entwurf ist aber ungenügend und wird der globalen Bedeutung der Schweizer Innen- und Aussenpolitik keineswegs gerecht: Er ist «unverbindlich, vage und wenig ambitioniert», schreibt Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud, in der Vernehmlassungsantwort. Was sind die wichtigsten Gründe für diese ernüchternde Einschätzung?

1)    Zu viele leere Versprechen
In New York betonte die damalige Bundespräsidentin vor bald sechs Jahren, dass die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung nun umgesetzt werden müssten. Die nationalen Ziele sind aber immer noch vage formuliert. Höchste Zeit, das internationale Versprechen einzulösen und Nägel mit Köpfen zu machen.

2)    Zu spät
Die Umsetzung der Strategie mittels Aktionsplänen hätte gemäss Legislaturplanung schon im August 2020 beginnen sollen. Die enorme Verspätung des Strategieentwurfs zeigt: Die institutionelle Verankerung der nachhaltigen Entwicklung in der Bundesverwaltung ist – trotz der Ernennung zweier Delegierter des Bundesrates für die Agenda 2030 – ungenügend und muss angepasst werden.

3)    Mehr Verbindlichkeit
Die SNE setzt auf Freiwilligkeit und blendet aus, dass es in vielen Bereichen klare und verbindliche Regeln braucht, vor allem wenn es um die Reduktion der CO2-Emissionen und um die Stärkung der Unternehmensverantwortung geht.

4)    Mehr Weit- und Weltsicht
Zur Politikkohärenz gehört, dass die Schweiz Verbesserungen der Entwicklungschancen anderswo und in Zukunft ermöglichen soll. Deshalb sollten die Auswirkungen von neuen Gesetzen auf alle relevanten Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung immer vorab analysiert werden. Das fehlt bisher im Strategieentwurf des Bundesrates.

5)    Menschenrechte
Die SNE orientiert sich am Prinzip des «leave no one behind», analysiert aber die Auswirkungen auf die ärmsten und am stärksten benachteiligten Gruppen viel zu wenig. Menschen in Entwicklungsländern haben nicht nur Bedürfnisse, sondern legitime Ansprüche und Rechte.

6)    Innenpolitik ist Aussenpolitik
Der Beitrag der Zivilgesellschaft zur nachhaltigen Entwicklung wird in der SNE zwar gewürdigt, aber nicht unterstützt. Da der Handlungsspielraum der NGOs auch in der Schweiz innenpolitisch zunehmend eingeschränkt oder in Frage gestellt wird, muss der Bund die Zivilgesellschaft auch strategisch stärken.

7)    Aussenpolitik ist Innenpolitik
Die negativen Auswirkungen im Ausland dürfen in der SNE nicht ausgeklammert und die externen Kosten der Schweizer Wirtschaft nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Der Klimafussabdruck der Schweiz ist ausserhalb der Landesgrenzen doppelt so gross wie im Inland.

8)    Und der Finanzplatz?
Der Hinweis in der SNE, zur Reduktion von Treibhausgasemissionen sei die Schweiz «insbesondere in den Bereichen Verkehr, Gebäude, Industrie, Energie und Landwirtschaft gefordert», ist unvollständig. Hier müsste dringend auch der Finanzplatz erwähnt werden.

9)    Geld ist Macht
Viel zu wenig ambitioniert ist der Bundesrat bei den unlauteren internationalen Finanzflüssen. Gewinnverschiebungen und die aggressive Steuervermeidung durch multinationale Unternehmen müssen aktiv bekämpft werden: Sie entziehen ärmeren Ländern Finanzmittel in mehrstelliger Milliardenhöhe, die sonst von diesen Ländern eigenverantwortlich zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung eingesetzt werden könnten.

10)    Information ist Macht
Die geplante SNE muss auch der Bedeutung des freien und gleichberechtigten Zugangs zu Informationen sowie der entsprechenden Rolle von öffentlichen Bibliotheken, Archiven und Dokumentationsstellen deutlich grösseren Stellenwert einräumen.

11)    Bildungsarbeit ist zentral
Die vage Absicht, die Agenda 2030 «allgemein bekannter zu machen», genügt nicht. Es braucht klarere Ziele, und die Informations- und Bildungsarbeit von NGOs im Inland soll weiterhin auch mit Bundesgeldern möglich sein.

12)    Inklusion
Die SNE betrachtet die Inklusion von Menschen mit Behinderungen noch nicht als transversales Thema, obwohl die Chancengleichheit ein Schwerpunktthema ist. Das ist anzupassen, denn Barrieren befinden sich in der Umwelt und sind nicht etwa Teil der Identität von Menschen.

13)    Zwischenevaluation
Bisher war die Schweizer Nachhaltigkeitspolitik jeweils auf vier Jahre ausgelegt, neu gilt ein Zeithorizont von rund 10 Jahren. Dies ist vernünftig, es braucht aber eine rigorose Zwischenevaluation der Strategie nach rund fünf Jahren.

14)    Expertise
Die vorgesehenen Aktionspläne zur Umsetzung der Strategie sollen mit einem Multi-Stakeholder-Gremium konsultiert werden, das Expertise zu allen wesentlichen Dimensionen der globalen nachhaltigen Entwicklung in sich vereint.

15)    Legislaturplanung statt Lippenbekenntnisse
Es braucht vom Bundesrat im Rahmen der neuen SNE ein klares Bekenntnis, dass die erfolgreiche Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer Ziele für die nachhaltige Entwicklung jeweils auch das oberste Prinzip seiner Legislaturplanung sein wird.

16)    Auch die Wissenschaft fordert mehr Mut
Zahlreiche weitere Organisationen haben im Rahmen der Vernehmlassung kritisch Stellung genommen, darunter die Plattform Agenda 2030 und das Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern. Auch sie fordern mehr Tempo, Mut und griffigere Massnahmen.

17)    Noch nicht genug?
Dann lesen Sie hier die vollständige Vernehmlassungsantwort von Alliance Sud.

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