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Es braucht den Fokus auf Land und lokale Perspektiven

23.03.2020, Handel und Investitionen

Auch in Myanmar lautet das Versprechen der chinesischen Belt and Road Initiative: Entwicklung dank Handel und dem forcierten Bau von Infrastrukturen. Doch Landrechte, Biodiversität und Kultur stehen infrage.

Es braucht den Fokus auf Land und lokale Perspektiven
Kleinräumige Landschaft um den Hauptort des Layshi Townships im hügeligen Nagaland im Nordosten von Myanmar.
© Lin Bo Jian

von Christoph Oberlack, Athong Makury und Andreas Heinimann

Die Belt and Road Initiative (BRI) ist wohl das ehrgeizigste Megainfrastrukturprojekt unserer Zeit. Unter der Führung Chinas haben mehr als 120 Länder, darunter die Schweiz, Kooperationsabkommen für die neue Seidenstrasse unterzeichnet. Erfahrungen von lokalen Gemeinschaften mit Megainfrastrukturprojekten in Myanmar zeigen jedoch, dass Landrechte, kulturelle und biologische Vielfalt bedroht sind. Der Umgang mit Landnutzung und Landrechten wird entscheidend dafür sein, ob die BRI eine nachhaltige Entwicklung fördert oder verdrängt.

Die führenden Politiker der Welt haben sich hohe Ziele gesteckt. Beim letzten Belt and Road Forum haben vierzig Staaten, darunter die Schweiz, ihr «Engagement für die UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung bis 2030» bekräftigt und sie haben der BRI «starkes, nachhaltiges, ausgewogenes und integratives Wachstum und die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen als gemeinsame Ziele» zugebilligt. Mehr noch als eine Vielzahl von Projekten ist die BRI eine wirkungsmächtige, breit angelegte visionäre Erzählung. Dank der Entwicklung einer gross angelegten Verkehrs-, Energie-, Handels- und Industrieinfrastruktur entlang von Handelsrouten durch Asien, Europa und Afrika verspricht die BRI eine bessere Zukunft für alle.

Ein grosses Versprechen ist das. Zumal in den letzten zehn Jahren Megainfrastrukturprojekte häufig das Gegenteil bewirkt haben: Viele hatten die Vertreibung von lokalen Gemeinschaften, Landraub, soziale Konflikte und Umweltzerstörung zur Folge, die nachhaltige Entwicklung und die Lebensqualität der Menschen vor Ort haben sie untergraben statt verbessert. Ein Grund dafür: Diese Grossprojekte reduzieren die Vielfalt der Landnutzung. Sie verwandeln Landschaften mit vielfältigen ökologischen, sozialen und ökonomischen Funktionen in Gebiete, deren wichtigste Aufgabe es ist, Standorte für Infrastruktur zu sein. Deutlich wird die Bedeutung und die globale Relevanz von multifunktionalen Landschaften am Beispiel des Jhum-Landnutzungssystems des Naga-Volks in Myanmar.


Die Jhum-Lebensweise

Die Naga sind ein indigenes Volk, das aus über 40 Stämmen besteht. Das sogenannte Nagaland verteilt sich auf Nordost-Indien und Nordwest-Myanmar. Von den etwa 4 Millionen Naga lebt eine halbe Million auf dem Staatsgebiet von Myanmar. Für das Volk der Naga ist Land nicht nur eine produktive Ressource, sondern auch ein Ort tiefer historischer, kultureller und spiritueller Verbindungen. Das Land wird durch das überlieferte Besitzsystem der Naga verwaltet, das die nachhaltige Nutzung der Land- und Wasserressourcen gewährleistet. Die wichtigste Landnutzung im abgelegenen Hochland des Myanmar-Nagalandes ist der Wanderfeldbau, lokal Jhum genannt. Dieses extensive Landnutzungssystem wird nach dem Rotationsprinzip betrieben. Dabei werden die verschiedensten Feldfrüchte angebaut, und diverse Brachstadien erlauben der lokalen Bevölkerung eine breite Nutzung des Bodens; sie verdankt ihm von Baumaterial über Heilpflanzen bis zu hochwertigen Nahrungsmitteln. Jhum zeichnet darüber hinaus eine hohe Biodiversität und die Speicherung grosser Mengen von Kohlenstoff aus, wovon nicht zuletzt das globale Ökosystem profitiert. Die «Jhum-Lebensweise», wie die Naga es nennen, betrachtet und verwaltet Land auf ganzheitliche Art und erhält so multifunktionale Landschaften auf nachhaltige Weise.

Trotz zaghaften, positiven Anzeichen in jüngster Zeit anerkennt das heute in Myanmar geltende Recht die lokalen Gewohnheitsrechte an Land nicht. Ohne die formelle Anerkennung der Landrechte stellen die geplanten Infrastrukturprojekte eine grosse Gefahr für lokale und indigene Gruppen dar, einschliesslich ihrer Lebensweise und den lokalen bis globalen Funktionen ihrer Landnutzung.

Wenn Verkehrswege ausgebaut werden, so werden abgelegene Regionen zugänglicher. Der besseren Zugänglichkeit folgen typischerweise neue Ansprüche an Land durch Investitionen in kommerzielle Landnutzung, zu denen die Regierung Myanmars auch ausdrücklich einlädt. Wie die Debatte über Land Grabbing in der vergangenen Dekade gezeigt hat, stellen diese Ansprüche die Gewohnheitsrechte lokaler Gruppen in Frage. Der Druck auf lokale und indigene Gemeinschaften und ihre Landnutzungssysteme nimmt weiter zu.

Eine raison d’être der Megainfrastrukturprojekte ist es, Infrastruktur bereitzustellen, die internationalen Handel befördert. Das braucht Land, viel Land. Die neue Nutzung des Landes steht in starkem Kontrast mit den vielfältigen Funktionen von Land in gemeindebasierten Landnutzungssystemen, wie es die «Jhum-Lebensweise» exemplarisch zeigt. Ein kürzlich veröffentlichter globaler Bericht der zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität und Ökosystemleistungen (IPBES) zeigt, dass ein Grossteil der terrestrischen globalen Biodiversität in Gebieten liegt, die von indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften auf traditionelle Art und Weise verwaltet werden. Ihre langfristige gemeinschaftliche Nutzung des Landes hat vielfältiges lokales ökologisches Wissen, soziale Identitäten und Kulturen hervorgebracht. Grossprojekte, die lokale Gemeinschaften von ihrem Land verdrängen, bedrohen daher nicht nur die biologische Vielfalt des Planeten, sondern auch die kulturelle, institutionelle und soziale Vielfalt der Erde.

Was tut die Schweiz?

Die Beteiligung der Schweiz und anderer europäischer Länder an der BRI unterstützt und legitimiert die Vorstellung, dass der Bau von Megainfrastrukturen Entwicklung begünstige. Doch welche Art der Entwicklung? Und welchen Entwicklungsbegriff vertritt die Schweiz? Basierend auf einer im April 2019 unterzeichneten Absichtserklärung begrüsst die Schweiz die BRI offiziell und billigt damit die Erwartung, dass die BRI Infrastrukturen in Regionen entwickle, die diese dringend benötigen würden. Die Erfahrung mit negativen Auswirkungen von Megainfrastrukturprojekten im vergangenen Jahrzehnt zeigen jedoch, dass dabei allzu oft die Anerkennung der Bedürfnisse, Rechte und Stimmen der lokalen und indigenen Bevölkerungen fehlt. Die Gewährleistung nachhaltiger lokaler und indigener Gemeinschaftsstrukturen und Landnutzung müsste dringend ein integraler Bestandteil des Schweizer Engagements für die BRI sein.

Die entscheidende Rolle, die die Landnutzung für die nachhaltige Entwicklung hat, wird in den Debatten über die BRI bis dato weitgehend ausgeblendet. Sie muss stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.

Wenn die im Rahmen der BRI errichtete Infrastruktur die nachhaltige Entwicklung fördern soll, dann braucht es Regeln dafür. Wenn heute von Auf- oder Ausbau von Institutionen die Rede ist, dann werden Prinzipien für grüne Investitionen und Nachhaltigkeit der Verschuldung mitgedacht. Diese Schwerpunkte müssen dringend durch einen Fokus auf Land ergänzt werden; Befürworter der BRI wie die Schweiz müssen die Zielländer von Infrastrukturinvestitionen dazu anhalten, Land- und Territorialrechte der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften explizit anzuerkennen. Andernfalls sabotiert die BRI die Bemühungen für globale Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn der Agenda 2030.

Die Autoren:

  • Christoph Oberlack leitet das Cluster Sustainability Governance des Centre for Development and Environment (CDE) und ist Forscher am Geographischen Institut an der Universität Bern.
  • Athong Makury war Vorsitzender des Rates für Naga-Angelegenheiten und ist der Exekutivdirektor der NGO Resource Rights for the Indigenous Peoples in Myanmar.
  • Andreas Heinimann ist der für die regionale Zusammenarbeit zuständige stellvertretende Direktor des CDE.